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Literarisches Madrid

Bloggin Madrid

17. Mai 2022

Nicht wenige Städte zieren großartige Seiten der Literaturgeschichte, Madrid aber ist etwas Besonderes. Nicht nur, weil die Stadt in den Romanen von Benito Pérez Galdós, Ernest Hemingway oder Almudena Grandes eine Rolle spielt, sondern auch, weil einige der besten Schriftsteller aller Zeiten in ihren Pensionen wohnten, in ihren Cafés verkehrten oder einen Lehrstuhl an ihren Hochschulen innehatten. Von Ignacio Vleming

Der wohl bekannteste unter ihnen ist Miguel de Cervantes, aber auch andere Literaten des Siglo de Oro, des goldenen Jahrhunderts, lebten in Madrid, darunter die drei großen Dramatiker der Stadt Tirso de Molina, Calderón de la Barca und Lope de Vega. Sie sorgten dafür, dass ein Bummel durch die Straßen des Stadtviertels Barrio de las Letras auch heute noch einer ihrer Komödien gleicht, in denen sich Schwertgesellen, Sänger, Adlige und Gesinde in Form von Elfsilblern und Romance-Versen auf den Bühnen der als Corrales bezeichneten Freilichttheater tummelten.

Folgen Sie ihren Spuren in dem seit 1583 bestehenden Teatro El Español, im Teatro de la Comedia, in der Kirche San Sebastián, dem Sitz der Schauspielergilde, oder in der Druckerei Juan de la Cuesta, in der 1605 die erste Ausgabe von Don Quijote erschien und die heute Sitz der Sociedad Cervantina (Cervantes-Gesellschaft) ist.

Der „Einarmige von Lepanto“ - so der Beiname von Miguel Cervantes, lebte in mehreren Wohnungen in diesem Stadtteil, der damals als „Las Musas“ bekannt war. Einer seiner ersten Wohnsitze in der spanischen Hauptstadt liegt etwa über dem Restaurant Casa Alberto. Daher wurde er nach seinem Tod im benachbarten Kloster der Unbeschuhten Trinitarierinnen beigesetzt.

Nur wenige Meter weiter liegt das Museum zu Ehren von Lope de Vega, dem überaus erfolgreichen Schriftsteller, der die letzten Jahre seines Lebens mit seinen Töchtern in diesem kastilischen Herrenhaus verbrachte. An seiner Seite lebte auch seine junge Geliebte Marta de Nevares, die an einer schweren Geisteskrankheit litt und noch vor Lope de Vega verstarb.

Auch das 18. Jahrhundert brachte seine Highlights. Aus dieser Zeit stammen die Schwänke von Ramón de la Cruz, die Briefliteratur von José Cadalso, die pädagogischen Schriften von Gaspar Melchor de Jovellanos und das moralische Theater von Leandro Fernández de Moratín. Zitate dieser Schriftsteller finden sich auf dem Gehsteig der Calle de las Huertas.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eroberte die Romantik die Herzen der jungen Spanier und Anhänger dieser Bewegung, die einem der ungewöhnlichsten Museen Madrids, dem Museo Nacional del Romanticismo (Nationales Museum der Romantik), seinen Namen verlieh. Aus dieser Zeit stammen die Artikel von Mariano José de Larra, die Legenden von Gustavo Adolfo Bécquer sowie die Gedichte von Carolina Coronado und Gertrudis Gómez de Avellaneda.

Als Reaktion auf diesen Überschwang der Gefühle entwickelte sich der Naturalismus. Hervorragende Beispiele dafür sind die Romane von Fernán Caballero, dem Pseudonym von Cecilia Böhl de FaberEmilia Pardo Bazán und Benito Pérez Galdós aus Las Palmas auf Gran Canaria, der mit Werken wie Fortunata und Jacinta oder Misericordia zum besten Chronisten Madrids wurde. Eine auf Initiative der Bevölkerung im Retiro-Park aufgestellte beeindruckende Skulptur von Victorio Macho zeugt von der großen Wertschätzung, die die Madrider „ihrem Schriftsteller" entgegenbrachten, auch wenn er sie stets mit einem gewissen Sarkasmus porträtierte. Das Ateneo de Madrid war im 19. Jahrhundert Austragungsort hitziger intellektueller Debatten und das Haus des Verlegers und Sammlers José Lázaro Galdiano - heute ein Museum - war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Schauplatz spannender literarischer Abende.

1887-03-30, La Ilustración Española y Americana, Ateneo de Madrid, Conferencia dada por el conde de Morphy, Comba, Rico.

Ab dem Regierungsantritt von Alfons XIII. im Jahr 1902 bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs im Jahr 1936 erlebte Spanien eine als „Silbernes Zeitalter“ bezeichnete Epoche höchster kultureller Blüte rund um den Bezirk Chamberí als Epizentrum. Während dieser Zeit trafen in Madrid drei Künstler- und Intellektuellengenerationen zusammen, die sowohl vom Regenerationismus als auch von der Übernahme europäischer Avantgardeströmungen geprägt waren.

Dazu gehörten die 98-er Generation, angeführt von Pío BarojaMiguel de Unamuno und Ramón María del Valle-Inclán, die 14-er Generation mit so bekannten Denkern wie José Ortega y Gasset, Dichtern wie Juan Ramón Jiménez und schwer einzuordnenden Schriftstellern wie Ramón Gómez de la Serna (dessen Arbeitszimmer im Museo de Arte Contemporáneo de Conde Duque noch erhalten ist) und die 27-er Generation, die dank ihrer Dichter Gerardo DiegoVicente Aleixandre und Federico García Lorca weltweit bekannt wurde. Letzterer wohnte in der legendären Residencia de Estudiantes, wo man heute ein Zimmer im Originalzustand der 1920er Jahre besichtigen kann.

Dies waren auch die goldenen Jahre der Cafés an der Puerta del Sol, die - sogar noch vor der Eröffnung des noch heute bestehenden Gijón und Comercial - jeden Nachmittag Schauplatz endloser Gesprächsrunden zwischen Schriftstellern, Künstlern, Politikern und Stierkämpfern über Gott und die Welt waren.

Durch den Spanischen Bürgerkrieg geriet Madrid auf die Titelseiten aller internationalen Zeitungen. Hier verkehrten die wichtigsten Korrespondenten aus ganz Europa und den USA, von denen viele im Laufe der Jahre zu bedeutenden Schriftstellern wurden, wie John Dos PassosAndré Malraux oder Antoine de Saint Exupéry. Darunter auch Ernest Hemingway, der von Spanien so begeistert war, dass er einige seiner bekanntesten Werke, wie z. B. Wem die Stunde schlägt in der Stadt ansiedelte. Viele lateinamerikanische Schriftsteller auf Europareise kamen auf ihrem Weg nach Barcelona, Paris, London oder Rom durch Madrid.

Rubén DaríoPablo NerudaGabriela MistralJorge Luis Borges und Mario Benedetti lebten hier über längere Zeiträume und machten die Stadt zu einer Weltmetropole der Literatur. Auch Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa, der sich in der Stadt heimisch niederließ, gehört auf die Liste dieser Ahnenreihe.

In den Nachkriegsjahren war Madrid in der spanischen Literatur wieder sehr präsent. Besonders bemerkenswert sind Werke wie Am Jarama von Rafael Sánchez FerlosioDer Bienenkorb von Camilo José CelaSchweigen über Madrid von Luis Martín-Santos oder Barrio de Maravillas von Rosa Chacel.

Es gibt so viele Schriftsteller mit einem Bezug zu Madrid, dass es unmöglich ist, sie alle aufzuzählen. Zu dieser Generation gehörten auch die beliebte Dichterin Gloria Fuertes, die im Viertel Lavapiés wohnte und eine Vorliebe für die Taberna de Antonio Sánchez hatte, und der Chronist Francisco Umbral, ein Dandy, für den die Stadt an sich schon ein literarisches Phänomen war. Schriftsteller zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert wie Arturo Pérez Reverte mit Hauptmann AlatristeElvira Lindo mit Manolito Gafotas oder Almudena Grandes mit ihrer Romanreihe Episodios de una guerra interminable sind einige der berühmtesten Porträtisten der Stadt. Gefolgt von einer nunmehr neuen Autorengeneration mit Andrés BarbaMercedes Cebrián und Javier Montes an der Spitze - allesamt scharfsinnige Madrider mit analytischem Blick auf eine Gesellschaft, die nicht mehr dieselbe ist wie vor zwanzig Jahren.

Der Name der im letzten Winter verstorbenen Almudena Grandes ziert demnächst den Bahnhof Atocha, ein symbolischer Ort für alle nicht gebürtigen Einwohner Madrids, die mitunter, wie im Fall von Galdós, die Atmosphäre der Stadt spontaner erfassen.

Abschied von Atocha ist übrigens der Titel eines Romans, mit dem der nordamerikanische Schriftsteller Ben Lerner die Stadt Madrid für die hier lebenden Menschen sehr gut wiedererkennbar schildert. Mit Madrid veröffentlichte Andrés Trapiello 2020 einen unerwarteten publizistischen Erfolg, in dem er seine Beziehung zu seiner Wahlheimat beschreibt. Diese Beziehung weckt Erinnerungen an ähnliche Erfahrungen von Ramón J. SenderCarmen Laforet oder Carmen Martín Gaite - allesamt überzeugte Madrider, die ursprünglich aus anderen Provinzen stammten. Auf diese Liste gehört natürlich auch Elena Medel, die mit Las Maravillas ein Madrid jenseits der M-30 schildert.

Und nicht zuletzt ist Madrid auch die Heimat einiger der besten Dichterinnen und Dichter der letzten Generationen, wie Carmen JodraSandra SantaPatricia EstebanSofía Rhei, Vanesa Pérez-SauquilloMario ObreroSergio AdilloNemanja KuzmanovskiMaría Martínez Bautista … und vielen weiteren, die sich hier unmöglich alle aufzählen lassen.

 

Streifzug durch das Madrid, in dem die großen Vertreter der Blütezeit der spanischen Literatur lebten.
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