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Ein Rundgang durch das Madrid Almodóvars

Machen Sie einen Rundgang durch die Drehorte der Filme des berühmten Regisseurs, Ehrenbürgers der Stadt und großer Goya-Preisträger und Gewinner von zwei Oscars. Haben Sie die Schauplätze von Parallele Mütter, seinem jüngsten Film, erkannt?

Interessierte Zuschauer der Filme Almodóvars, der 2018 zum „Adoptivsohn der Stadt Madrid“, also zu deren Ehrenbürger, ernannt wurde, können sich damit vergnügen, Schauplätze und Kulissen der Stadt aufzuspüren. Einige sind inzwischen wahre Kultstätten des Almodovar‘schen Universums, andere dagegen sind schwieriger auszumachen. Hier einige Kuriositäten über manche der mehreren Hundert Locations, die das Madrid Almodóvars ausmachen.

Die Karriere des spanischen Regisseurs, Drehbuchautors und Produzenten wurde mit internationalen Filmpreisen gewürdigt, darunter zwei Oscars für den besten ausländischen Film für „Alles über meine Mutter“ (1999) und das beste Originaldrehbuch für „Sprich mit ihr“ (2002), sowie ein Ariel Award für den besten iberoamerikanischen Film für „Leid und Herrlichkeit“ (2019) und zahlreiche Goya-Preise.

In Parallele Mütter, seinem jüngsten Film (2021)

  • Plaza de las Comendadoras: Auf diesem schönen Platz in der Gegend Conde Duque, der nach dem Kloster der Comendadoras de Santiago benannt ist, spielt sich ein Großteil des Films ab. An diesem Platz wohnt Janis (die von Penélope Cruz verkörperte Figur). Die Terrasse des Café Moderno ist der Schauplatz einiger der wichtigsten Dialoge im Film. Das Café besteht hier schon seit Jahren und bietet außen wie innen stets eine gute Möglichkeit für eine Verschnaufpause.
  • Hotel Urso: In diesem 5-Sterne-Hotel (Mejía Lequerica, 8) zeugen die von Penélope Cruz und Israel Elejalde gespielten Charaktere ihre Tochter.
  • Taberna Ángel Sierra: Berühmte Taverne, in der eine entscheidende Begegnung stattfindet. Einer jener legendären Orte im Herzen von Chueca

Die Häuser an der M-30

Am Ende von Womit habe ich das verdient? entfernt sich die Kamera von den riesigen Wohnblöcken, in denen die Protagonisten wohnen, und die Gebäude verschwinden langsam im Häusermeer der Großstadt. Diese drei Wohnblocks stehen am Rande der Umgehungsstraße M-30, ganz in der Nähe der Moschee im Stadtviertel La Concepción. Almodóvar war schon Jahre zuvor auf die Häuser aufmerksam geworden: „als ich damals in einem Lager der Telefónica in der Nähe der Gemeinde Fuencarral arbeitete, fuhr ich jeden Tag auf der M-30 daran vorbei. Die riesigen Gebäude, die sich wie Bienenstöcke über der Autobahn erheben, haben mich stets beeindruckt”.

La Bobia

Kokette Blicke und jede Menge Aufreißerei im heutigen Café Wooster (Duque de Alba, 3), am Rastro-Flohmarkt. Ein legendärer Ort der Movida (der Aufbruchsbewegung der 80er Jahre) und Dreh- und Angelpunkt in Labyrinth der Leidenschaften. Hier startet der Film und hier findet die heiße Begegnung zwischen den von Imanol Arias und Cecilia Roth dargestellten Protagonisten statt.

Kaserne in Conde Duque

(Conde Duque, 9) „Spritz mich voll! Nur keine Hemmungen”. Eine der berühmtesten Szenen Almodóvars, in der die von Carmen Maura verkörperte Filmfigur in Das Gesetz der Begierde einen Stadtarbeiter bittet, sie in der drückenden Hitze Madrids mit einem Wasserstrahl abzukühlen.

Calle del Arenal

Das Ende von Live Flesh – Mit Haut und Haar drehte Almodóvar in der weihnachtlich geschmückten Calle del Arenal. Bei einer der Aufnahmen sollte das Lokal Museo del Jamón am unteren Ende der Straße im Mittelpunkt stehen. Der Regisseur drehte dabei inkognito aus einem Transporter heraus und auf der Straße mischten sich die Passanten mit einigen dafür eingestellten Statisten. Das Team drehte mehrere Stunden lang und als Almodóvar sich später die Aufnahmen ansah, bemerkte er, dass auf allen ein und derselbe Mann zu sehen war, der an der Tür des Lokals wartete. „Wahrscheinlich war der Mann mit jemandem verabredet, der nicht aufgetaucht ist”. Der Mann, um den es geht, trägt eine Brille und ist am Ende des Films kurz zu sehen.

Bekannte Sehenswürdigkeiten

Die Tour durch das Madrid Almodóvars hat nur wenig gemein mit der Stadtrundfahrt der Sightseeing-Busse. Bis auf zwei Ausnahmen. Die Plaza Mayor in Mein blühendes Geheimnis und vor allem die Nachtaufnahme mit Zoom auf die Puerta de Alcalá, die in Live Flesh – Mit Haut und Haar als Hintergrund für den Vorspann des Films dient.

Eine Stadt aus Pappmaché

Bei Kika drehte Almodóvar kaum an wiedererkennbaren Außendrehorten. Allerdings schaffte es der Regisseur dennoch, einige der Wahrzeichen Madrids ins Bild zu bringen. In einem Zimmer in der Villa sind Modellbauten der Hochhäuser Torre Madrid, Torres Kio und Torre Europa zu sehen. Und noch mehr Pappmaché: die Szenerie bzw. der Dekorationshintergrund in der Wohnung von Verónica Forqué stellt das Gebäude Torre Picasso dar. Letzteres taucht auch in Zerrissene Umarmungen wieder auf – als Kulisse beim Blick aus dem Fenster im Arbeitszimmer des von José Luis Gómez verkörperten Großunternehmers.

Friedhöfe, Züge und Flughäfen

Die am meisten sich wiederholenden Drehorte in den Filmen Almodóvars sind der Friedhof Cementerio de la Almudena und der Flughafen Madrid-Barajas. Der Regisseur, dem keine Veränderungen in der Stadt entgingen, weihte mit der großartigen Szene der Ankunft Peter Coyotes in Madrid den Bahnhof des Hochgeschwindigkeitszugs AVE in Atocha ein. Einige Jahre später fuhr auch Cecilia Roth in Alles über meine Mutter mit dem AVE. Mit dieser Fahrt zwischen Barcelona und Madrid war Almodóvar seiner Zeit voraus, denn das AVE-Schienennetz reichte damals noch nicht bis in die katalanische Hauptstadt.

Cocktailbar Museo Chicote

Eine der Schlüsselszenen in Zerrissene Umarmungen spielt in dieser legendären Cocktailbar (Gran Vía, 12), in der bereits die strahlendsten Sterne des spanischen und internationalen Starhimmels zu Gast waren. Wenn die Wände des Chicote sprechen könnten, würden sie erzählen, wie Ava Gardner den berühmten Stierkämpfer Luis Miguel Dominguín verführte. In Zerrissene Umarmungen wird die von Blanca Portillo verkörperte Filmgestalt nach einigen Gin Tonics gesprächig und plaudert über Jahre hinweg bewahrte Geheimnisse aus.

La Corona de Espinas

In Die Haut, in der ich wohne ist der als La Corona de Espinas bekannte Sitz des Instituto del Patrimonio Histórico Español (Spanisches Institut für Denkmalpflege; El Greco, 4. Ciudad Universitaria) der Ort, an dem die von Antonio Banderas verkörperte rachsüchtige Filmgestalt eine Rede hält. Für den Architekten Richard Rogers ist der Bau „pure Kreativität und Energie bis ins kleinste Detail". Das organisch gestaltete Gebäude ist ein Werk der Architekten Fernando Higueras und Antonio Miró, dessen Bau Mitte der 60er Jahre begonnen wurde. Almodóvar wählte es als Schauplatz für diese Szene, da die ihm eigene Ausdruckskraft der erzählten Handlung ein weiteres Element hinzufügt.

Brücke Viaducto de Segovia

Das Viadukt ist ein Vertreter des architektonischen Rationalismus im Madrid der 30er Jahre (allerdings erst 1949 eingeweiht) übertragen auf die Infrastrukturen der Stadt. Die Brücke verbindet auf einer erhöhten Ebene den Königspalast mit dem Viertel Las Vistillas. In der landläufigen Vorstellung der Madrider gilt der Ort traditionell als Selbstmörderbrücke. Zum Ausdruck kam dieser Bezug zum Tod schon in Matador, einem Film über die bis zum Äußersten getriebene Leidenschaft, und besonders in Fliegende Liebende, einer fast ausschließlich im Studio gedrehten provokanten Komödie, in der der von Paz Vega gespielte Charakter genau dort einen Selbstmordversuch begeht.

Calle de Fernando VI

Im Film Julieta (2016) hat Pedro Almodóvar verschiedene Geschichten der Nobelpreisträgerin Alice Munro auf das spanische Szenario übertragen. Der Regisseur hatte anfangs die Idee gehabt, den Film in Kanada, also in der Originalumgebung der Schriftstellerin zu drehen. Letztendlich entschied er sich aber doch für Spanien und hier konnte natürlich Madrid nicht fehlen. Das Haus in der Calle Fernando VI, 19 nimmt in dieser Geschichte erneut einen wichtigen Platz ein.

Cine Doré

Das Kino und Hauptsitz der Filmoteca Española (Spanische Filmothek) (Santa Isabel, 13) taucht in zwei Filmen auf. Zunächst in Sprich mit ihr, als Benigno (dargestellt von Javier Cámara) dort den Kurzfilm im Film El amante menguante sieht. In Leid und Herrlichkeit, Almodóvars jüngstem und persönlichstem Werk, findet hier eine Ehrung für das Alter Ego Almodóvars (dargestellt von Antonio Banderas) statt, woraus eine wahnwitzige Situation entsteht.

Andere Straßen und Orte aus dem Universum Almodóvars

  • Calle Montalbán, 7. Das Penthouse im 7. Stock ist die Wohnung, in der Pepa (Carmen Maura) in Frauen am Rande eines Nervenzusammenbruchs lebt. Im Hintergrund die Skyline der Gran Vía mit dem Telefónica-Gebäude.
  • Calle Almagro, 38. Wohnung der Familie von Antonio Banderas in Frauen am Rande eines Nervenzusammenbruchs.
  • Calle de Sevilla, 3. Wohnung von Kika in Kika.
  • Villa Rosa (Plaza de Santa Ana, 15). Lokal, in dem der Travestiekünstler Miguel Bosé in High Heels auftritt.
  • Café del Círculo de Bellas Artes (Calle Alcalá, 42). Hier treffen sich in Kika Victoria Abril und Peter Coyote zur Besprechung eines Drehbuchs.
  • Plaza del Alamillo. In High Heels ist hier die Kellerwohnung/Portiersloge, in der Marisa Paredes lebt.
  • Plaza de Puerta de Moros. Hier versucht die von Marisa Paredes gespielte Leo zu Beginn von Mein blühendes Geheimnis ihre Stiefeletten auszuziehen.
  • Paseo de Eduardo Dato, 18. Wohnung von Javier Bardem und Francesca Neri in Live Flesh – Mit Haut und Haar.
  • Calle Segovia. Hier, im Bereich unter der gleichnamigen Straßenbrücke, lebt der von Lluis Homar gespielte Charakter in Zerrissene Umarmungen.
  • Cock (Calle Reina, 16). Hier arbeitet die von Tamar Navas in Zerrissene Umarmungen verkörperte Filmfigur als Disc Jockey.
  • Paseo del Pintor Rosales. Hier lebt Salvador Mayo, der von Antonio Banderas dargestellte Charakter, der so viele Züge des Regisseurs selbst besitzt. Eine besonders reizvolle Straße direkt vor dem Parque del Oeste mit der Casa de Campo im Hintergrund.
     
  • Sala Mirador (Doctor Fourquet, 31). In diesem kleinen Alternativtheater hält Alberto Crespo (gespielt von Asier Etxandía) in einer der bewegendsten Szenen von Leid und Herrlichkeit seinen Monolog. 

 

Mit 17 Jahren floh Pedro Almodóvar aus seinem Heimatdorf Calzada de Calatrava in die spanische Hauptstadt. Seine Entwicklung als Person und Künstler ist eng mit Madrid verknüpft. Die Stadt ist wie eine eigene Person, deren jüngste Verwandlung er in seinen Filmen meisterhaft wiedergegeben hat.

Die Anreise Pedro Almodóvars nach Madrid erfolgte auf der Straße von Extremadura her. Dieser erste Kontakt mit der Stadt, so schildert er in einem, von der Zeitschrift Diario16 im Jahr 1993 veröffentlichten, autobiografischen Artikel, war für ihn eine tiefe Enttäuschung: „Das entsprach ganz und gar nicht dem, was ich mir erträumt hatte – die Umgebung war abgestorben, schmutzig und wenig einladend”.

Almodóvar war damals 17 und überzeugt davon, dass sein Heimatdorf ein Gefängnis für ihn und seine Bestrebungen war. Er hatte die elterlichen Erwartungen, eine Banklehre zu machen und eine finanziell gesicherte Zukunft zu haben, in den Wind geschlagen und nicht ohne vorherige Auseinandersetzungen mit der Familie den Koffer gepackt, um in eine faszinierende Zukunft aufzubrechen. Sein ganzes Leben lang war Madrid in seiner Vorstellung ein verklärter, sagenhafter Ort gewesen.

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Im selben Artikel erinnert sich Almodóvar daran, dass seine Mutter ihm, als er klein war, von ihrer Reise in die Hauptstadt in den 20er Jahren erzählt hatte. Mitgerissen von ihren fantastischen Schilderungen, stellte sich Pedro damals vor, das Leben dort sei wie in den Sissi-Filmen. Im Laufe der Zeit veränderte sich Madrid und wurde in seiner Vorstellung zu dem Ort, an dem man per Katalog bestellte. Sinnbild dessen war das Gebäude der Galerías Preciados: „Ich erinnere mich an die Kataloge mit Schwarzweißbildern für Haushalts- und Körperpflegeprodukte. Das war mein erster Kontakt mit der Popkultur und ich werde es nie vergessen”.

Das Bild jener mythischen Stadt nahm mit wachsendem Alter sich wandelnde Formen an und verkörperte für den jugendlichen Almodóvar schließlich den Traum von Freiheit: „Madrid war der Ort, als erstes auf der Leinwand erschienen und wo jeder sein eigenes Leben lebte. Kurzum – ein wahrer Traum”.

Allerdings erfolgte Almodóvars Anreise nach Madrid auf der Straße von Extremadura her und weder 1972 noch heute hat diese Straße Ähnlichkeit mit den Wiener Schlossparks der Sissi-Ära. Später, so schildert er, musste er sich an den Geruch der Metro gewöhnen und daran, dass man nachts die Sterne nicht sah. „Das sind die ersten Eindrücke, an die ich mich erinnere. Sie waren alles andere als faszinierend, aber trotzdem blieb ich”. 

 

Für New York ist es Woody Allen, für Rom war es Fellini und in Madrid trägt das Filmgeschehen den Namen Pedro Almodóvars. Ein Synonym, das sich für Stadt und Regisseur fast unbeabsichtigt ergeben hat. Denn im Gegensatz zu Allen oder Fellini schuf Almodóvar nie eine ausdrückliche Hommage an seine Stadt oder machte ihr eine ausdrückliche Liebeserklärung. Die Beziehung zwischen Stadt und Regisseur ist weit natürlicher, denn schon bald wurde beiden klar, dass ihrer beider Werdegang parallel verläuft.

In der Tat lässt sich das Filmwerk Pedro Almodóvars ohne Madrid nicht verstehen. Die Stadt selbst stellt darin einen Schlüsselcharakter dar. Auch der Regisseur äußert sich mitunter dahingehend: „Ich habe in dieser Stadt stets die perfekte Kulisse mit der zugehörigen (unverschämten und idealen) Fauna für jeden meiner Filme gefunden ". In Zerrissene Umarmungen (2009) stellt Almodóvar mit Lanzarote und Madrid zwei unterschiedliche Schauplätze einander gegenüber, die sich in der Filmhandlung ergänzen. Das Plakat für den im Film gedrehten Film Frauen und Koffer enthält sogar eine Hommage an die Stadt in Form der blonden Penélope Cruz zwischen hohen, charakteristischen Gebäuden der Metropole.

Die Entwicklung Almodóvars und Madrids erfolgte analog – vom jungen Provinzler hin zur modernen, internationalen Persönlichkeit, der sich auf dem Weg dorthin nicht gänzlich seiner provinziellen, dörflichen Herkunft entledigte. Almodóvar fand in Madrid den natürlichen Schauplatz für alle seine Paradoxien, den Ort, an dem trendigstes Design locker neben der Kittelschürze existiert.

Das Nichtmadrider Publikum von Frauen am Rande eines Nervenzusammenbruchs fand die Idee, dass Carmen Maura auf der Terrasse ihrer topgestylten Penthouse-Wohnung Hühner hielt, genial. Dennoch setzte sich Madrid letztendlich aus genau derartigen Widersprüchen zusammen. Das Gleiche gilt für Almodóvar, der die Stadt als Spiegel nutzt. Man musste einfach ungeniert genauer und an den richtigen Stellen hinsehen. Die Namensgebung der Orte, an denen sich seine Charaktere aufhielten, nahm Almodóvar auf ganz natürliche Weise vor.

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Das Penthouse mit den Hühnern war in der Calle Montalbán, seinen Serienkiller nannte er den Mörder vorn Cuatro Caminos, der Vergewaltiger von Kika war der Vergewaltiger von Orcasitas und die Protagonistin von Womit habe ich das verdient? fristet ihr Leben im Barrio de la Concepción. Für Zurückkehren wählte Almodóvar mit Vallecas ein weiteres bekanntes Viertel Madrids, diesmal aus der Vorstadt der Metropole. Merkwürdig daran ist, dass seine Filme trotz dieser vielen Bezüge auf Dinge in unmittelbarer Nähe internationalen Erfolg hatten. „In meinen Filmen kommen viele ortsgebundene Elemente vor, die außerhalb Madrids, etwa in New York, dennoch leicht zu verstehen sind. Das Leben in der Großstadt ist überall ähnlich, die Schwierigkeiten sind die gleichen und trotz der kulturellen Unterschiede findet eine zunehmende Vermischung statt”. 

Wenn jemand die Entwicklung Madrids über die letzten 25 Jahre analysieren wollte, käme er nicht umhin, dazu die Filme Pedro Almodóvar näher zu betrachten. In einer Kombination aus Dorf und Stadt können die drei Heldinnen von Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande (1980) einmal in die angesagteste Disco gehen und ein andermal auf dem Sofa sitzen und stricken. Das Madrid in Labyrinth der Leidenschaften (1982) ist das Madrid des Rastro, die sprudelnde und genussfreudige Stadt der Movida.

Die amüsanteste Stadt der Welt” – so drückt es einer seiner schrillsten Charaktere, der Herrscher von Tirán, in einem der Filmdialoge aus. Das Kloster in Das Kloster zum heiligen Wahnsinn (1983) liegt in der Calle Hortaleza mitten in der Innenstadt, während der Regisseur in Womit habe ich das verdient? (1984) das Leben der Madrider Vorstadt mit ihrem noch unbebauten, von Eidechsen bewohnten Ödland porträtiert.

Besonders reif kommt diese Beziehung zu Madrid in Leid und Herrlichkeit zum Ausdruck. In diesem Film wird das Schicksal der Charaktere von Madrid geprägt. Im Munde jedes einzelnen von ihnen rückt die Stadt mehr denn je in den Mittelpunkt. Daneben hält der Regisseur zwei der derzeit wichtigsten Diskussionen bzw. Forderungen in der spanischen Hauptstadt fest, die sich in Form zweier Graffiti in die Aufnahmen „eingeschlichen“ haben. Eine davon ist „Hermana, yo sí te creo” (Schwester, ich glaube dir) zur Unterstützung des Opfers im „La Manada“-Vergewaltigungsfall im Rahmen der Sanfermines-Feiern in Pamplona 2016. Die zweite ist ein Aushang, der sich gegen den überhand nehmenden Tourismus im Viertel Lavapiés richtet.

Die Karriere Almodóvars entwickelte sich rasend schnell in wechselnden Etappen, während Madrid analog dazu seine eigenen Etappen durchlief. Wollte er das Thema Tod zur Sprache bringen, bot sich die Straßenbrücke in der Calle Bailén als traditioneller Ort für Selbstmörder als perfekte Metapher an. Aus diesem Grund wählte Pedro den Schauplatz für Matador (1985), von dem Teile auch im Casa de Campo und im Matadero de Legazpi (heute eine internationale Institution in der modernen Kreativszene) gedreht wurden. In einer nächtlichen Szene in Das Gesetz der Begierde (1986) bittet Carmen Maura einen Straßenarbeiter, sie mit einem Wasserschlauch vollzuspritzen. „Ich glaube, dieses Bild gibt am besten das wider, was man Begierde nennt“, meinte der Regisseur zu dieser Szene, die nebenbei gesagt eine ausgezeichnete filmische Darstellung der schwülen Sommernächte in der Stadt ist.

Jede Ecke, jeder Schauplatz Madrids hat seine Bedeutung. Manchmal symbolisch, gelegentlich aber auch autobiographisch, warum auch nicht? Der früher bei der Telefongesellschaft angestellte Almodóvar wählte für Frauen am Rande eines Nervenzusammenbruchs (1987) die Gran Vía mit dem gut sichtbaren Telefónica-Gebäude als Kulisse. „Das ist eine meiner Lieblingskulissen”. Und bei dieser Analyse der Entwicklung Madrids kann der Betrachter auch gegenwärtig oder rückblickend Veränderungen in der menschlichen Landschaft der Stadt feststellen. Bevor Chueca zum Schwulenviertel wurde, war es Treffpunkt von Junkies und Dealern, wie dies in einer der nächtlichen Runden Antonio Banderas‘ in Fessle mich! (1989) zum Ausdruck kommt.

In dem Maße wie sein internationaler Ruhm wuchs, wurde Pedro Almodóvar mehr und mehr zu einem Botschafter Madrids, auch wenn es für ihn dabei zunehmend schwieriger wurde, den Pulsschlag der Stadt zu spüren. „Ich habe mich immer in Gesellschaft anderer amüsiert, habe gerne Leute kennengelernt, Gesprächen zugehört, mich unters Volk gemischt und beobachtet. Davon lasse ich mich inspirieren, jetzt aber fällt es mir schwer, nahe an die Realität heranzukommen”.

Vielleicht waren High Heels (1991) oder Kika (1993) aus diesem Grund Innendrehs. In  Mein blühendes Geheimnis (1995) entschloss sich der Regisseur hingegen, etliche charakteristische Schauplätze der Innenstadt für einige Szenen einzusetzen. Die von Marisa Paredes verkörperte Schriftstellerin lebt und bewegt sich rund um die Plaza de la Paja, und eine der schönsten Szenen des Films zeigt Juan Echanove bei einem einsamen nächtlichen Stepptanz auf der Plaza Mayor.

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Seit Almodóvars Ankunft in Madrid waren 25 Jahre vergangen. „In Madrid wurde ich erwachsen, habe mich amüsiert, habe gelitten, habe zugenommen und habe mich weiterentwickelt”, schrieb der Regisseur 1998, als er erstmals einen Rückblick wagte und über die vielen Veränderungen reflektierte.

Live Flesh – Mit Haut und Haar (1997) begann mit der Geburt eines Kindes an Weihnachten 1970, als sich das Land in einem vollkommenen Ausnahmezustand befand. Am Ende des Films wird jenes Kind, Liberto Rabal, selbst zum ersten Mal Vater. „Als ich geboren wurde, blieben die Leute zuhause und hatten eine Scheißangst”, erzählt er seinem Kind. „Du hast Glück mein Sohn, denn heute haben die Menschen in Spanien diese Angst längst hinter sich gelassen”. Almodóvar nutzte in diesem Film auch einen der dramatisch eindrucksvollsten Schauplätze seines Filmwerks – La Ventanilla, ein aus baufälligen Hütten bestehendes Viertel, das kurz vor dem Einriss stand, um den modernen schiefen Türmen der Plaza de Castilla Platz zu machen. Auch hier wieder zeigen sich Madrid und Almodóvar voller Kontraste und Widersprüche.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Almodóvar zwölf Spielfilme gedreht. Zwölf verschiedene Ansichten der Stadt. Nummer 13 war eine Überraschung. Als er ankündigte, er  würde Alles über meine Mutter (1999) in Barcelona drehen, konnte er ein gewisses Schuldgefühl nicht verbergen. „Ich habe das Gefühl, Madrid zu verraten” erklärte er. Almodóvar drehte einen Film in Barcelona für die Annalen und kehrte mit Sprich mit ihr ins alte Madrid zurück. Zu den Straßen und Straßenecken („Ich habe ein Faible für Ecken”), zu den Häusern mit Balkonen und Blumentöpfen.

In all diesen Jahren erhielt er jede Menge verlockende Angebote. Ein Film in den USA, ein Dreh auf Englisch, aber der Regisseur rührt sich nicht vom Fleck. Denn Madrid ist modern und gleichzeitig fast La Mancha. Und wer weiß? Würde er der Stadt untreu, könnte es ihm vielleicht wie Marisa Paredes bei ihrer Rückkehr in High Heels ergehen:

  • Mein Gott, wie sich die Stadt verändert hat!
  • Es gibt Teile, die du nicht wiedererkennen wirst.
  • Mich beunruhigt eher, dass die Stadt mich nicht wiedererkennt. 

 

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