LGTBIQA+ auf der Madrider Kunstmeile Paseo del Arte
Von Ignacio Vleming.
Vor fast dreißig Jahren, im Jahr 1992, wurde der Künstler Pepe Espaliú aus Córdoba über den Paseo del Prado getragen. Vor der Ankunft im Reina-Sofia-Museum machte die ihn tragende Menschenkette, aus der die Performance mit dem Titel The Carrying Project bestand und an der sich berühmte Persönlichkeiten der Madrider Movida-Bewegung wie Alaska, Bibiana Fernández oder Pedro Almodóvar beteiligten, vor dem Gesundheitsministerium Halt.
Mit dieser Aktion forderten sie Maßnahmen zur Bekämpfung der HIV-Pandemie. Espaliú, der zu diesem Zeitpunkt bereits krank war, starb Monate später an AIDS. Diese Fortbewegung, ohne den Boden zu berühren, sollte einen fast schon katatonischen Zustand widerspiegeln, wie der Künstler in einem seiner wunderbaren literarischen Texte (La Bella Varsovia) in der Sammlung La imposible verdad erklärt.
Für The Carrying Project fertigte er auch Zeichnungen und Skulpturen an, die heute zum Bestand eben des Museums gehören, in dem die Performance endete. Werke, die von Schmerz, Angst und Tod, aber auch vom Bedürfnis nach Schönheit sprechen und an David Wojnarowicz, einen weiteren der bedeutendsten Artivisten (Künstler + Aktivist) im Kampf gegen HIV, erinnern.
Das Reina Sofía widmete ihm eine Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Whitney Museum of American Art organisiert wurde Zum Bestand der spanischen Institution gehört seine Reihe Arthur Rimbaud in New York, die sich mit der wahren Identität des Enfant terrible der französischen Dichtkunst, dem Verfasser von Eine Zeit in der Hölle, auseinandersetzt.
Ähnliche Kundgebungen waren die Auftritte von José Pérez Ocaña, dessen Künstlerkarriere in den 1970er Jahren begann, als er seinen Heimatort in Sevilla verließ, um das Barcelona der Gauche Divine zu erobern. Er inspirierte Zeichenkünstler wie Nazario, mit dem er eng befreundet war, und Filmemacher wie Ventura Pons und Gérard Courant. Diese filmten eine seiner Performances vor dem Brandenburger Tor in Berlin, die sich heute neben einer Reihe Selbstporträts des Künstlers hier im Museum befindet.
Erwähnenswert ist auch das Schaffen von Gregorio Prieto, einem maßgeblich von der metaphysischen Malerei beeinflussten Künstler, der bereits in den 1950er Jahren Werke im Rahmen der schwulen Darstellungswelt, wie etwa die symbolischen Fotografien in Zusammenarbeit mit Eduardo Chicharro Briones, schuf.
Erwähnt sei auch die Freundschaft zwischen Federico García Lorca und Salvador Dalí, die von einigen Forschern (vor allem Ian Gibson) als Liebesbeziehung interpretiert wird. Von ersterem, dem Verfasser von Sonetos del amor oscuro, besitzt das Museum mehrere Dokumente rund um die Theatergruppe La Barraca, wo er Rafael Rodríguez Rapún kennenlernte, sowie eine wunderschöne Zeichnung in Anlehnung an sein Theaterstück Amor de don Perlimplín con Belisa en su jardín.
Von Dalí besitzt das Museum eine Reihe von Bildern, darunter vor allem das 1926 unter kubistischem Einfluss entstandene Stillleben Naturaleza Muerta.
Aus dem Jahr 2017, in dem Madrid Schauplatz des World Pride war, besitzt das Thyssen-Bornemisza-Nationalmuseum eine komplette LGTBIQ+-Tour mit insgesamt 16 Werken, die man in pdf-Format herunterladen kann.
Hervorgehoben seien zwei Gemälde mit Bezug auf die im 19. Jahrhundert aufkommenden neuen weiblichen Identitäten. Amazona de frente (Die Reiterin) ist ein Gemälde von Édouard Manet, das Teil einer unvollendeten Serie über die Jahreszeiten sein sollte. Das hiesige Bild, das den Sommer darstellt, zeigt Henriette Chabot im Reitanzug, der ihr eine gewisse maskuline Ausstrahlung verleiht. Dieses Spiegellabyrinth ist Thema des "Porträts” , das Charles Demuth von Gertrude Stein schuf.
Und noch ein weiterer Stopp erwartet uns auf dem Paseo del Arte. Fälschlicherweise könnte man annehmen, dass das Prado-Museum aufgrund seines Alters eher wenig aus dem Bereich der queeren Darstellungswelt zu bieten hat. Aber weit gefehlt! Die Räume des Villanueva-Gebäudes, die voller mythologischer Gemälde sind, zeigen, dass die Liebe zwischen Menschen gleichen Geschlechts und nicht-binäre Identitäten mitnichten etwas Neues sind.
2017 entwarf Carlos G. Navarro ebenfalls im Rahmen des World Pride in Madrid einen Rundgang durch die Bestandssammlung, die vielen von uns erst den enormen Reichtum des Museums zum Thema Diversität und Geschlechteridentität aufzeigte.
Man nehme zum Beispiel El Cid, das Bild eines wilden Löwen der offen lesbischen Künstlerin Rosa Bonhuer aus dem Jahr 1879. Zusammen mit La siesta von Lawrence Alma Tadema war das Werk eine Schenkung des Kunsthändlers Ernest Gambart, dem spanischen Generalkonsul in Nizza, zur Beschwichtigung des seiner Homosexualität wegen entstandenen Skandals.
Von hier aus führt die Reise in die Vergangenheit zu einigen der bedeutendsten schwulen Persönlichkeiten der Kunstwelt. Die Barockzeit bietet in dieser Hinsicht Die Entführung des Ganymed von Rubens, die von Ribera enorm würdevoll porträtierte Mujer barbuda (Bärtige Frau), San Sebastián von Guido Reni ähnlich dem, der den Protagonist von Geständnisse einer Maske, dem autobiografischen Roman von Yukio Mishima, erotisierte. Von Caravaggio besitzt das Prado-Museum das Bild David vencedor de Goliat (David und Goliath). Im Siglo de Oro brachte Velázquez einen Bronzeguss der hellenischen Skulptur El hermafrodita durmiente (Der schlafende Hermaphrodit) aus Italien mit, der nun vor Las Meninas zu sehen ist.
Die der klassischen Bildhauerei gewidmeten Räume bieten unzählige Beispiele, deren bedeutendstes wohl die Ildefonso-Gruppe ist. Das aus zwei jungen Männern bestehende Paar (einer gemäß dem Kanon des Polyklet, der andere gemäß dem des Praxiteles), das möglicherweise Orestes und Pylades darstellt, ist nicht nur eine Synthese der antiken griechischen Kunst, sondern auch eine Hymne an die Schönheit junger Männer.